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Dresden 13. Februar

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Einleitung

Ein Multimedia-Essay
der Sächsischen Zeitung

Von Oliver Reinhard und Fabian Deicke


Erstellt im Februar 2015
Aktualisiert im Februar 2023
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Von der Kulturstadt zur Trümmerwüste

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"Bombardieren Sie das rote Leuchten der Zielmarkierer nach Plan." Diesen Befehl funkte "Masterbomber" Maurice Smith am späten Abend des 13. Februar 1945 an einen britischen Lancaster-Verband, der sich im Anflug auf Dresden befand.

Kurz darauf kam über die Stadt das größte Inferno ihrer Geschichte. Die Bomben vernichteten das eng bebaute Zentrum und richteten in umliegenden Stadtteilen enorme Verwüstungen an. Durch die Innenstadt tobte ein Feuersturm. Bis zu 25 000 Menschen wurden erschlagen, erstickten in Kellern, verglühten in den Flammen. Als sich die zweite Bomber-Welle näherten, konnten deren Besatzungen den Schein der Katastrophe schon von Weitem ausmachen: Dresden selbst war zum roten Leuchten geworden.

"Du kannst es Dir nicht vorstellen, es ist alles einfach weg!" Das schrieb eine Dresdnerin unmittelbar nach den schweren Bombenangriffen vom 13. und 14. Februar 1945 auf ihre Stadt an eine Freundin. In ihren Worten spiegeln sich das ganze ungläubige Staunen, das Entsetzen und die Fassungslosigkeit der Menschen in der zerstörten Elbmetropole. Was sie durch- und mitgemacht hatten oder danach in ihren sichtbaren Auswirkungen betrachteten, war nicht nur die schwerste Katastrophe in der Lokalhistorie. Vielmehr ist die Vernichtung weiter Gebiete der alten und für ihre Schönheit gerühmten sächsischen Hauptstadt ein in mehrfacher Hinsicht einzigartiges Ereignis in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
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Terrassenufer, Brühlsche Terrasse und dahinter die Frauenkirche. Die historische Altstadt liegt nach den Bombardements in Trümmern.
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TRAUMA EINER KATASTROPHE

Warschau, Rotterdam, Coventry, Belgrad, Hamburg;
Dresden ist eine von vielen Städten, die im von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg ein schreckliches Schicksal erlitten. Doch wurde keine andere Stadt Europas während
des Zweiten Weltkriegs in so wenigen Stunden mit herkömmlichen Mitteln so umfassend zerstört.
Nur in Hamburg kamen in einer derart knappen Zeitspanne ähnlich viele Menschen ums Leben. Und an wenigen Orten ist die Betroffenheit über und die Erinnerung an den konventionellen Bombenkrieg bis heute so tief empfunden und lebendig im Bewusstsein der Bewohner. 

Binnen weniger Wochen nach den Februar-Angriffen entstand eine kollektive "Erzählung vom 13. Februar" als ein Ereignis, durch das eine "friedliche Kunst- und Kulturstadt" zerstört wurde, und zwar "sinnlos". Diese Deutung hat für viele Menschen immer noch Bestand. Bis heute liefert die große Erzählung vom 13. Februar die Grundelemente der weltweiten Erinnerung an die Zerstörung der Stadt. Sie macht "Dresden" zu einem Symbol für den alliierten Luftkrieg schlechthin.

Mit unserem Multimedia-Projekt wollen wir Vorgeschichte, Hintergründe, Ereignisse und Nachleben des 13. Februar 1945 auf vielfältige und vielschichtige Weise beleuchten:
in Text, Wort, Bild und Film. Doch jede Darstellung dieser Geschichte wäre unvollkommen ohne die Erzählungen
von Menschen, die jene Zeit vor, während und nach der Tragödie miterlebt haben. Die 83-jährige Nora Lang und der gleichaltrige Lothar Liebelt geben ihre Erinnerungen preis.
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Dresden von 1933 bis 1944/45

EINE KULTURSTADT WIRD FÜHRERSTADT

Dresden ist nicht nur eine Stadt, Dresden ist eine Weltanschauung. So lautet schon vor über 100 Jahren das Selbstverständnis der Bürger. Die alte Residenz ist weithin berühmt für ihre Schönheit, ihre Kultur, ihre Kunstschätze. Unzählige Besucher erleben sie und ihre Bewohner
als weltoffen und geistvoll.

Dennoch gewinnt auch hier in den Zwanzigerjahren der Nationalsozialismus an Boden. Bei der Reichstagswahl
im November 1932 votieren knapp 34 Prozent der Bewohner für Adolf Hitler. Damit ist Dresden unter den deutschen Städten ihrer Größe jene mit den meisten
NSDAP-Stimmen nach Breslau. Die Weichen sind gestellt.

Nach der "Machtergreifung" am 30. Januar 1933 machen sich Gauleiter Martin Mutschmann und seine Getreuen daran, Sachsen in ein braunes Vorzeigeland zu verwandeln.
Brutal gehen sie gegen Angehörige von KPD und SPD vor, sperren sie ein, verbieten deren Parteien. Es kommt
zu Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte, zu Zwangs-"Arisierungen", zur Entlassung jüdischer Angestellter.
1938 brennt Dresdens Synagoge. Missliebige Künstler wie
der Staatsopern-Generalmusikdirektor Fritz Busch oder die Kunstprofessoren und Maler Otto Dix und Oskar Kokoschka werden vertrieben, man organisiert die erste Ausstellung "entarteter" Kunst.Als Zeichen dafür, dass Dresden auch unter den Nazis eine deutsche Kulturmetropole bleiben soll,
kürt Hitler sie zum Ort der ersten Reichstheaterwochen.
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AUFSCHWUNG UND ABSTIEG

Der Terror der Nationalsozialisten zeigt schnell Wirkung:
Wer nicht für sie ist, hält in der Regel zumindest still und arrangiert sich. Bis Kriegsbeginn 1939 fällt das den meisten Dresdnern relativ leicht. Die Arbeitslosigkeit wird beseitigt, eine freiwillige Staatsverschuldung ermöglicht wichtige Bauvorhaben und den Ausbau des Verkehrssystems.
Zudem darf Dresden sich mit dem Ruhm einer offiziellen "Führerstadt“ schmücken. Immer mehr Touristen kommen. 400 000 Gäste füllen jedes Jahr die Kassen der Hotels, Gaststätten, Museen und Bühnen. In den Augen der meisten Bewohner überlagert der Glanz der "neuen Zeit“ die vielen Schattenseiten. Auch hierin unterscheiden sie sich nicht
vom Gros der übrigen Deutschen.

Doch selbst die Kinder spüren, dass sich etwas verändert hat. "Mein Vater war Sozialdemokrat, in unserer Nachbarschaft gab es aber viele Nationalsozialisten", erinnert sich
Lothar Liebelt. "Ein paar Mütter haben ihren Kindern deshalb sogar verboten, mit mir zu spielen".

Zwar herrscht, als 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt, hier wie andernorts eher gedrückte Stimmung. Aber die Mehrheit der Bürger
hält weiterhin treu zum "Führer“, bejubelt die Erfolge
der Wehrmacht, glaubt an die Richtigkeit der Sache,
den Endsieg. Sie verschließt die Augen vor allem, was auf
das Gegenteil hindeutet. Man ist schließlich durch das alltägliche Leben genug gefordert, hat seine Sorgen, Nöte und Freuden. Der Krieg spielt sich in weiter Ferne ab. Vorerst erreicht er nur wenige Menschen – in der Wochenschau, der Zeitung und in bislang nur vereinzelten Briefen, die über den "Heldentod“ des Vaters, Bruders oder Gatten informieren.

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Nora Lang

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Lothar Liebelt

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KRIEG, ENTBEHRUNG, ZWANG

Doch spätestens um die Jahreswende 1942/1943, als das Kriegsgeschick sich zu wenden beginnt, bröckelt bei einer wachsenden Zahl von Menschen der Glaube an Hitler und
das System. Immer mehr Männer werden zur Wehrmacht eingezogen, auch Dresden verwandelt sich in einen Ort, bevölkert überwiegend von Frauen, Kindern und Alten.

Seit Ausrufung des "Totalen Krieges“ am 18. Februar 1943
und der Mobilisierung aller Produktivkräfte für
die Kriegswirtschaft werden die Bescheidungen im Alltag strenger. Auch Frauen zieht man noch häufiger als zuvor zum Arbeitseinsatz in den Betrieben heran. Dort müssen sie, getrennt von den vielen Zwangsarbeitern aus eroberten Gebieten, ihren "Dienst am Vaterland“ verrichten. Immer häufiger fällt die Schule aus, kommandiert man die Kinder zu Luftschutzdiensten, zur Flak, zu Altwarensammlungen. "Wir gingen bald nur noch kurz bei der Schule vorbei, um unsere Aufgaben abzuholen und sie am nächsten Tag dort wieder abzugeben", sagt Nora Lang, damals 12 Jahre alt.

Materialien wie Eisen für Öfen, Herde oder Toiletten gibt es nur noch gegen Bezugsschein, Nahrungsmittel gegen Lebensmittelkarten. 
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Begrenzt gültig, begrenzte Rationen: Ende 1942 und 1943 standen einem erwachsenen Dresdner wöchentlich zu: 

2.400 Gramm Brot, 500 Gramm Fleisch und Wurst, 100 Gramm Butter, 62,5 Gramm Käse und Schmalz, ein halbes Pfund Zucker, 100 Gramm Marmelade.
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ZUG FÜR ZUG IN DEN TOD

Dresdens Juden sind inzwischen weitgehend aus dem Alltagsleben verschwunden. Schon im Januar 1939 wohnten statt der 1933 behördlich erfassten 6000 Mitglieder
der Gemeinde nur noch 1536 in der Stadt. Ab 1940 müssen sie den gelben "Judenstern" an ihrer Kleidung tragen.
Viele Dresdner bemerken erstmals, dass auch in ihren Straßen Juden leben, dass sogar ihre Nachbarn Juden sind.
"Das waren doch ganz normale Bürger, so wie wir", erinnert sich der damals neunjährige Lothar Liebelt. "Woran hätte ich Juden denn vorher erkennen sollen?" 

Der größte Teil von ihnen wird aus ihren Wohnungen vertrieben und in 32 "Judenhäuser“ geschickt. 1942 beginnt ihre systematische Deportation, zunächst in die östlichen Gettos, später direkt in die Vernichtungslager. Die Übrigen müssen Zwangsarbeit verrichten, zumeist in den Rüstungsbetrieben.

Am 3. Februar 1943 löst die Gauleitung auch das "Judenlager“ am Hellerberg auf. Von den über 350 Insassen werden fast alle in Auschwitz-Birkenau ermordet. Die Juden, die danach noch in Dresden verbleiben, transportiert man Zug für Zug ab.
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Andere Städte Deutschlands werden bereits bombardiert, als die Dresdner noch nur an Schaukästen die Kampfmittel der Alliierten kennenlernen.
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DRESDEN WIRD "KRIEGSWICHTIG"
 
Seit dem ersten massiven Luftangriff der Alliierten auf Köln
im Mai 1942 sinkt eine große deutsche Stadt nach der anderen in Trümmer. Zunächst weit entfernte wie Essen, Hamburg, aber auch Berlin. Doch am 4. Dezember 1943 fliegt die Royal Air Force ihre erste Attacke auf Leipzig. Fast 2000 Menschen sterben. Der Bombenkrieg ist in Sachsen angekommen.

Die Dresdner aber, aus Angst, Hoffnung und Zuversicht, glauben nicht oder wollen nicht glauben, dass auch ihre Kulturstadt mit den vielen Krankenhäusern und Lazaretten zum Bombenziel werden kann. Dabei ist sie ebenso bedeutende Garnisonsstadt und zunehmend kriegswichtiger Verkehrsknotenpunkt. Immer mehr einst zivile Betriebe sind nun Zulieferer für die Rüstungsindustrie. Etwa die Zeiss-Ikon- und die Sachsenwerk-Betriebe, Seidel & Naumann und die Universelle-Werke. Hier entstehen zum Beispiel Flugzeugteile, optische Zielgeräte, Flakgranaten, Gasmasken.

Zwar bleibt es weder der Reichsleitung noch Sachsens Gauleitung verborgen: Spätestens im Verlauf des Jahres
1944 nimmt Dresden eine größere Rolle in den Luftkriegsplänen der Alliierten ein. Doch zu lange hat man sich darauf verlassen, dass die Stadt für den Feind kein lohnendes Ziel bleiben würde, den Luftschutz daher vernachlässigt und nur wenige sichere Bunker gebaut. Nun sind die Mittel dafür nicht mehr vorhanden. Man behilft sich mit Provisorien,
die im Ernstfall jedoch keinen ausreichenden Schutz bieten werden. Und man tröstet sich mit der Hoffnung,
Dresden sei schon allein wegen seiner angeblich geringen Kriegsbedeutung ein sicherer "Reichsluftschutzkeller“.
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Dresden 1933 - 1944

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Dresden im Luftkrieg

Am 24. August 1944 erhält die Hoffnung der Dresdner
einen ersten Dämpfer: US-Bomber greifen das Mineralölwerk Rhenania Ossag in Freital an, kurz vor den Toren der Stadt. 241 Menschen sterben. Die Dresdner reagieren erschrocken und entsetzt, aber nicht wirklich beunruhigt. Die meisten bewerten den Angriff als Versehen.

Das nächste "Versehen“ lässt nur sechs Wochen auf sich warten. Am 7. Oktober bombardieren 29 amerikanische "Fliegende Festungen“ den Friedrichstädter Bahnhof.
Sie treffen auch das Innenstadtgebiet. Es gibt 267 Tote,
45 davon auf dem Gelände des Rüstungswerkes Seidel & Naumann. Drei Monate darauf, am 16. Januar 1945, erfolgt ein weiterer Schlag auf das Stadtgebiet. Immer weniger Menschen glauben nun noch an Versehen oder Zufälle. Viele ahnen,
dass es nicht bei diesen kleineren Angriffen bleiben wird. 
"Jeden Abend hörten wir die Luftlagemeldungen im Radio", erzählt Nora Lang. "Und wir fragten uns: Wann wird es Dresden treffen?" Bald sollten sie darauf eine Antwort bekommen.

Im Westen überschreiten alliierte Verbände die Grenze
des Reiches, im Osten nähert sich die Rote Armee Frankfurt
an der Oder und Breslau. Der Krieg ist für Deutschland verloren. Doch es kämpft weiter. Aus Fanatismus,
aus Gehorsam, aus Ratlosigkeit und Angst vor der Rache der Sieger. Auch in Dresden wird diese Angst noch geschürt durch Berichte über Gräueltaten der Roten Armee, erzählt von Ostflüchtlingen, die zu Zehntausenden die Stadt erreichen, zumeist nur kurz bleiben und dann weiterziehen.





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DER 13. FEBRUAR

Am 1. Februar 1945 starten die britischen und US-Luftflotten eine Serie von Großangriffen auf Industrieziele und Städte.
Sie wollen Truppenbewegungen der Wehrmacht behindern sowie den eigenen Vormarsch und den der Roten Armee unterstützen. Zum ersten Mal wird nun auch Dresden Hauptziel einer Attacke beider Verbündeter. Die Amerikaner haben erneut den Bahnhof Friedrichstadt im Visier.
Die Briten planen ein Flächenbombardement auf das Zentrum, um die Moral der Bevölkerung zu brechen,
also möglichst viele Zivilisten zu töten.

Der 13. Februar 1945 verläuft zunächst wie jeder andere Tag in diesen Wochen. Doch um 21.39 Uhr heulen die Sirenen.
In zwei Wellen dröhnen 805 britische Lancaster-Bomber heran. Nichts hält sie auf, Dresden wurde nahezu sämtlicher Flugabwehrgeschütze beraubt. Zunächst sinken Leuchtkörper herab, die "Christbäume“. Dann rote Markierungsbomben. Dann beginnt das Verderben. Um 22.13 Uhr löst die erste Angriffswelle ihre tödliche Fracht aus. Sprengbomben durchschlagen Dächer und Zwischendecken, lassen Türen sowie Fenster bersten und bereiten damit das Terrain für die Brandbomben, deren Feuer sich so schneller ausbreiten kann.

"Die Geräusche, die zu uns in den Keller drangen, waren furchtbar", sagt Nora Lang. "Es klang, als würde jemand über uns einen Sack mit Kohlen oder Kartoffeln nach dem anderen ausschütten." Als die letzte Maschine der ersten Angriffswelle um 22.28 Uhr den Rückflug beginnt, ist Dresdens Stadtzentrum bereits schwer beschädigt. 


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Nora Lang

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DER 14. FEBRUAR

Auf den Straßen der Altstadt erscheinen nun, mitten im Chaos, die geschockten Überlebenden. Sie treten aus den Kellern und versuchen, dem Inferno zu entkommen. Zahllose aber warten auf Entwarnung und bleiben unter Tage. Dort sind sie alles andere als geschützt: In Dresden gibt es so gut wie keine sicheren Luftschutzbunker für die Bevölkerung.
Ihre Keller sind nur notdürftig abgestützt und durch Fluchttunnel verbunden worden. Für Unzählige eine tödliche Maßnahme: Umso leichter können sich Feuer, Hitze und Qualm in den Gewölben ausbreiten.

Noch während die Überlebenden aus  Stadtzentrum fliehen und  Rettungstrupps sich hineinbegeben, fallen wie geplant mitten in ihre Reihen ab 1.30 Uhr aus 529 Lancastern weitere Spreng- und Brandbomben. Erneut trifft es die Altstadt, aber nun auch die Friedrichstadt, Löbtau, Johannstadt und Striesen, die Südvorstadt, Strehlen, Gruna und Reick sowie Blasewitz und Loschwitz. 

Durch den zweiten Angriff wird das Zentrum endgültig zum Flammenmeer. Die Bomber haben wie schon in Lübeck, Rostock oder Hamburg den Feuersturm entfesselt. "Als wir aus dem Keller kamen, wehten uns Millionen heiße Funken entgegen, die alles in Brand setzten", erinnert sich Nora Lang.

Neben Wohn- und Verwaltungsgebäuden, Kirchen, Krankenhäusern und Schulen zerstören die Bomben militärische Ziele, Industrieanlagen und den Hauptbahnhof, dessen Keller und Stollen zu Massengräbern werden.
Die Semperoper ist schwer getroffen, ebenso Schauspielhaus, Schloss, Hofkirche, Gemäldegalerie und Zwinger.


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DAS ENDE DER FRAUENKIRCHE
 
Doch es ist noch nicht vorbei: Mittags um 12.17 Uhr greifen 311 amerikanische B-17 den Bahnhof Friedrichstadt an.
Ihnen folgen 23 Stunden später noch einmal 210 „Fliegende Festungen“. Sie zerstören die Gleisanlagen vollends.

Inmitten der Trümmer ragt ein Gebäude scheinbar unversehrt hervor: Die Frauenkirche hat die Nacht vom 13. zum
14. Februar überlebt. Sie ist zwar beschädigt, aber ihre Kuppel thront immer noch einsam über den Ruinen der Altstadt.
Doch die Hitze hat ihre Statik geschwächt. Am Mittag des
15. Februar wird ihre steinerne Glocke zu schwer für die Innenpfeiler. Das Gotteshaus bricht zusammen. Erst der Anblick seiner Ruine lässt viele Dresdner das Ausmaß dessen begreifen, was mit ihrer Stadt geschehen ist. Der legendäre "Canaletto-Blick“ fällt auf ein qualmendes Etwas, das keine Ähnlichkeit mehr hat mit jener Stadt, die der Maler
Bernardo Bellotto 200 Jahre zuvor verewigt hat.

"Ich habe meine Stadt nicht wiedererkannt", erinnert sich Lothar Liebelt, damals 13. "Im Zentrum war fast alles weg. Man konnte durch die ganze Altstadt blicken, vom Schloss bis zum Hauptbahnhof, ohne dass ein Gebäude im Weg stand."  
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Lothar Liebelt

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BILANZ DES SCHRECKENS

Fast 12 000 Häuser mit 80 000 Wohnungen sind vernichtet – knapp 80 Prozent des Bestandes. Von 19 im Dresdner Adressbuch 1941 aufgezählten Sehenswürdigkeiten existieren 17 nicht mehr. Bis auf die großen Zeiss-Ikon-Werke in Striesen sind die Industriekomplexe am Stadtrand oder in der Umgebung – wie die beiden Sachsenwerke in Radeberg
und Niedersedlitz – nicht angegriffen worden.
Sie haben die alliierten Strategen nicht interessiert.

Die Bomben töten, aber manche werden durch sie auch gerettet. Etwa jene Gefangene, die sich aus dem getroffenen Gerichtsgebäude am Münchner Platz befreien. Und einige Juden wie Victor Klemperer, deren bereits geplante Deportation nun nicht mehr durchgeführt werden kann.

Ungleich schwerer als der Verlust von Gebäuden wiegen
die Leben, im Bombenhagel erschlagen, von Explosionen zerrissen, im Feuersturm verbrannt, in Kellern erstickt.
Zwei Monate nach dem 13. Februar bilanziert der SS- und Polizeiführer Elbe die Opferzahl: "18 375 Gefallene,
2212 Schwerverwundete, 13 718 Leichtverwundete“.
Der Bericht schließt am 16. März: "Die Gesamtzahl der Gefallenen wird auf Grund der bisherigen Erfahrungen bei der Bergung nunmehr auf etwa 25 000 geschätzt.“ 55 Jahre später kommt eine Historiker-Kommission zum gleichen Ergebnis.
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Dresden 1944 - 1945

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Propaganda - Erinnerung - Gedenken

DIE WUNDE DRESDEN

Alljährlich im Winter sinkt Dresdens neuer Glanz in den Schatten eines einzigen Datums: In den Tagen um den
13. Februar sorgen Nationalisten und Rechtsextremisten
aus ganz Europa, die sich hier versammeln, international
für Schlagzeilen. Sie missbrauchen die Katastrophe
von 1945 für einen revanchistischen "Trauermarsch“ anlässlich des "alliierten Bomben-Holocausts“.
Tausende Gegendemonstranten stellen sich ihnen entgegen. Mittendrin und dazwischen: die Dresdner selbst. Drumherum: ein Land, das den Kopf schüttelt. Haben nicht andere Städte genauso gelitten unter den Bomben?  Warum nur all das Dresdner "Theater“ um den 13. Februar?  

Weil der 13. Februar auch eine Art Gefühl ist. Das Gefühl
der "Wunde Dresden“. Wie in anderen deutschen Städten auch schlug zwar der gleiche Krieg diese Wunde.
Doch nirgends wurde vergleichbar früh, nachhaltig und weltweit dafür gesorgt, dass sie nicht verheilen konnte.



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GEBURT EINES SYMBOLS 

Im März 1945 schlachtet die NS-Propaganda die Katastrophe aus. Sie geißelt das "einzigartige“ Schicksal einer "unschuldigen“ Kunst- und Kulturstadt, "sinnlos“ zerstört
von alliierten "Luftgangstern“, die Frauen, Kinder und Greise hingeschlachtet hätten. Der Mythos Dresden ist geboren.

Dass die britischen Flächenbombardements auf Zivilisten am 13. und 14. Februar 1945 auch im noch "feindlichen“ Ausland rasch auf Kritik stoßen, stärkt und festigt den Mythos noch. Bald nach Kriegsende wird Dresden international zum Bezugspunkt für Diskussionen um Sinn und Moral des Bombenkrieges, zum Symbol für die Auswirkungen moderner Kriegsführung schlechthin. Viele Dresdner nehmen diese "einzigartige“ Rolle an. Halb gleitet die Stadt hinein, halb zieht man sie in den Status des einzigen deutschen Ortes, den bald alle Welt in die Reihe der Opfer des Zweiten Weltkrieges sortiert. Das macht Debatten über Mitverantwortung und Mitschuld weitgehend obsolet.
 
So bleibt es auch in der DDR: Für das SED-Regime ist deutsche Schuld am Krieg immer nur die Schuld der anderen Deutschen - in der BRD. Auch diese bringen dem "Sodom in Sachsen“
(so ein Spiegel-Artikel 1963) nur Mitleid und Verständnis entgegen. Die Zeit spricht sogar vom "wahrscheinlich größten Massenmord der gesamten Menschheitsgeschichte“.
Der Mythos Dresden ist ein gesamtdeutsches Produkt.
Er wirkt wie ein Trauerflor. Je dichter er wird durch die Erzählungen vom Ungeheuerlichen des Erlebten, von Phosphorbomben, von Hunderttausenden Toten, von massenhaften Tieffliegerangriffen, desto mehr tröstet er die verwundeten Seelen; das ist nicht nur in Dresden so.


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NATIONALER KAMPFTAG DER DDR

Nahezu unverändert übernimmt die SED-Propaganda die
NS-Deutung des 13. Februar. Die Zerstörung bleibt "sinnlos“ und das vergangene Dresden "unschuldige Kunst- und Kulturstadt“: Der kalte Krieg hat begonnen, der Gegner ist ausgemacht – die ehemaligen Alliierten. 1950 wird der
13. Februar zum "Nationalen Kampftag gegen amerikanische Kriegshetzer“, dann zum "Friedenstag“ gegen
„BRD-Militarismus“. Für öffentliche Trauer bleibt bei den jährlichen Großkundgebungen, diesen Manifestationen sozialistischer Kraft und Entschlossenheit, kein Platz.

In den Siebzigern ebbt diese Groß-Propaganda jedoch ab. Die deutsch-deutschen Zeichen stehen nun auf Entspannung. Und viele Bürger empfinden den "sozialistischen“ Wiederaufbau ihrer Stadt als "zweite Zerstörung“, als endgültigen Verlust des Alten Dresdens, als Vollendung des Werks der Bomben von 1945. Immer weniger kommen zu den Kundgebungen.

Zwar entwickelt sich 1982 aus der Protestaktion einer Gruppe junger Dresdner gegen die SED-Instrumentalisierung des
13. Februar allmählich die Tradition des "Stillen Gedenkens“ mit Kerzen an der Frauenkirchenruine. Zwar steht die öffentliche Erinnerung seither immer stärker im Zeichen von Frieden, Versöhnung - und Protest gegen das SED-Regime. Zwar bieten nun verschiedene Gedenkformen auch Raum für das Bekunden von individueller Trauer und Schmerz.
Doch parallel dazu lebt der Mythos der einzigartigen und unschuldigen Opfer-Stadt weiter.



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Lothar Liebelt

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"BOMBEN-HOLOCAUST" ODER FRIEDENSRUF?

An diesen Mythos knüpften Rechtsextremisten gegen Ende der Neunziger an. Mit ihren Aufmärschen bricht die Wunde Dresden - vernarbt, aber nicht verheilt - erneut auf.
Lange verharrt die Stadt in Rat- und Hilflosigkeit. Zu lange hält man allein am Stillen Gedenken fest, am Schweigen, wo es lauten Widerspruch bräuchte. Bis sich zum 60. Jahrestag der Katastrophe engagierter Widerstand formiert. Auch er ist, wie der Mythos Dresden, ein gesamtdeutsches "Produkt“.

Inzwischen verstehen mehr und mehr Dresdner mit Blick auf den 13. Februar die Verantwortung ihrer Stadt als Symbol für die Schrecken des Krieges nicht nur passiv, sondern aktiv.
Sie bilden eine Menschenkette und reihen sich in Gegendemonstrationen, die die Rechtsextremisten an diesem Tag nach und nach vertreiben. Sie sind sich bewusst, dass Nationalismus und Chauvinismus auch in den eigenen Mauern wohnen. Und sie reden nicht länger nur über Dresdner Opfer und Leid, sondern auch über Dresdner Täter und Mitschuld.

Für viele Menschen bedeutet das Vermächtnis dieser Nacht die Verpflichtung zu Frieden und Versöhnung, zu Toleranz und Respekt. Die Debatten über den Umgang eines ganzen Landes mit seiner historischen Verantwortung zwischen Täter- und Opferschaft; sie bündeln sich in Dresden wie in einem Brennglas. Auch davon geht ein ganz besonderer Glanz aus.
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Dresden 1945 bis heute

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Kunst und Debatten

SYMBOLE GEGEN KRIEG

Nicht erst seit Überführung des ersten Nagelkreuzes aus Coventry 1965 haben sich Künstler aus anderen Ländern mit Geschichte, Bedeutung, Vermächtnis der Tragödie beschäftigt. Spätestens mit Erscheinen des Romans „Schlachthof 5“ des Amerikaners Kurt Vonnegut im Jahr 1969 war „Dresden“ endgültig nicht länger nur Chiffre für die konkreten Schrecken des Luftkriegs über. Es wurde darüber hinaus zum Symbol für militärische Gewalt gegen Zivilisten überhaupt. In Dresden ebenso wie in Vietnam, in Afghanistan, im Irak, auf dem Balkan – oder wie jüngst in Syrien.

Zusammen mit Bürgern der Stadt senden Künstler aus unzähligen Ländern bis heute Zeichen der Versöhnung und des Friedenswillens in alle Welt. Sie tun dies in Form von Literatur, Konzerten, Theaterprojekten, Gemälden, Performances, Skulpturen, Filmen. Oft unter Beteiligung von Überlebenden des 13. Februar. Etwa beim Projekt „Gravuren“, mit denen besondere Orte des 13. Februar gekennzeichnet werden, beim Hellerauer Tanzstück „The Past“ von Constanza Macras, bei Paule Savianos auch in Tokyo präsentierter Fotoschau „From Above“.

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AUFSTAND UM EIN MONUMENT

Der vielfältige Umgang Dresdens auch auf künstlerischem Gebiet mit dem Vermächtnis des 13. Februar genießt an vielen Orten der Welt einen geradezu beispielhaften Ruf. Doch gegen Kunstwerke kann es auch lautstarken Protest geben. So im Jahr 2017, als der Deutsch-Syrer Manaf Halbouni inspiriert von einem Foto aus Aleppo drei schrottreife Busse im scheinbar heilen Herzen der Stadt aufstellen ließ.

Das „Monument“ , wie das Kunstwerk heißt, soll ein Denkmal der Erinnerung an zivile Kriegsopfer sein, eine Mahnung zu Frieden, Versöhnung und Miteinander im Geist des 13. Februar 1945. Doch einige Dresdner sehen das nicht so. Von „Schwachsinn“ über „Schande“ und „Gehirnwäsche“ bis „Umerziehungskunst“ reichen die Beschimpfungen. Als Halbounis Arbeit am 7. Februar 2017 offiziell an die Bevölkerung übergeben wird, kommt es auf dem Neumarkt zu Tumulten. Eine pöbelnde Menge schreit und pfeift gegen die Reden von Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Frauenkirchenpfarrer Sebastian Feydt an. Eine Debatte um das Werk entsteht. Sie wird aufgeladen, auch weil kurz nach dem Aufstellen der Busse bekannt wird, dass beim Vorbild der Kunstaktion in Aleppo auf den Bussen Fahnen der islamistischen Rebellengruppe Ahar al Sham wehten.
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Manaf Halbouni 

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SORGEN DER KRITIKER

Der Protest gegen das Kunstwerk fällt in eine Zeit, in der auch Dresdens Oberbürgermeister Hilbert unter Polizeischutz steht. Er hatte Morddrohungen erhalten wegen seiner Wiederholung der historischen Erkenntnis: „Dresden war keine unschuldige Stadt.“ Manche Kritiker drehen ihm das Wort um und behaupten, damit habe Hilbert automatisch gesagt, Dresden sei „eine schuldige Stadt“. Tatsächlich lagen Schuld und Unschuld wie überall auch in Dresden sehr eng beieinander.
Hilberts Satz und der bei einigen Dresdnern spürbare tiefen Unwillen, dem Gedenken an den 13. Februar 1945 eine Bedeutung zuzugestehen, die über das konkrete historische Ereignis hinausreicht, sind Hinweise auf die Ursache des Protests. Zudem haben sich auch in Dresden gewisse politische Interessengruppen formiert, die wie bereits vor Jahren die NPD registriert haben, wie gut sich mit nationalen Thesen zur Vergangenheit bis hin zum offenen Revisionismus im Wahljahr punkten lässt. Etwa damit, dass man „Dresden 1945“ wieder aus seinen historischen Zusammenhängen löst, um es damit erneut als weltweite „Einzigartigkeit“ herauszustellen.

Eine zentrale Sorge der Kritiker lautet, das konkrete Gedenken an die Dresdner Opfer des 13. Februar 1945 könne durch Aktionen wie das Bus-„Monument“ oder die zeitgleiche Kunstinstallation sizilianischer Flüchtlingsgräber auf dem Theaterplatz marginalisiert werden und irgendwann aus dem Blick geraten.

Eine Sorge, für die es seit 1965 bisher jedoch keinen konkreten Anlass gegeben hat: Seit dem Nagelkreuz nehmen sämtliche Kunstaktionen dezidiert Bezug auch auf Dresdens Luftkriegstote. Sie spielen deren Vermächtnis nicht herunter. Sie sorgen im Gegenteil dafür, dass sie – nicht nur in Dresden – niemals aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden.
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Ausblick

So umfassend die Katastrophe des 13. Februar 1945 auch war und so schwer fassbar sie bleibt; Dresden ist eines von sehr vielen schrecklichen Kapiteln in der Geschichte der Gewalt. Der moderne Bombenkrieg nahm seine Anfänge bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Schon zu dieser Zeit wurden jene Wege geebnet, die 1945 nach Dresden führen, aber dort keineswegs enden sollten.

Seit dem ersten gezielten Flächenbombardement auf Zivilisten, dem Angriff der deutschen "Legion Condor“
1937 auf Guernica, nahmen die Bomben-Strategien immer hemmungslosere Formen an. Warschau, Coventry, London, Leningrad, Hamburg, Dresden, Hiroshima, Nagasaki, Bagdad, Damaskus, Grosny - nur im Zusammenhang erzählen diese Namen die Geschichte der schrittweisen Entgrenzung
des Luftkriegs, der am Ende nur ein Ziel hat: die Zerstörung, vor allem von Menschenleben. Dresden war einer der letzten Schritte in jene Ära, die diese Form von Massentötungen
aus der Luft perfektioniert hat: das Atomzeitalter.

Eindeutige Zuschreibungen von Täter- und Opferschaft im Krieg greifen nicht mehr. Zu oft ist beides untrennbar miteinander verwoben. Auch diese Erkenntnis gehört zur großen Erzählung vom 13. Februar 1945 in Dresden.
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Nora Lang

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Ein Multimedia-Essay
der Sächsischen Zeitung

Idee, Konzept, inhaltliche und technische Umsetzung:
Oliver Reinhard
Fabian Schröder


Filme und Bilder:
Hirsch Film Dresden
Stadtarchiv Dresden
Fotothek der SLUB Dresden
Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden
National Archives (USA)

Danksagung:
Wir danken Ernst Hirsch für seine großzügige Unterstützung und Hilfe, Nora Lang und Lothar Liebelt für ihre Erinnerungen, dem Team des Dokfilms "Come Together" (Claudia Jerzak, Barbara Lubich und Michael Sommermeyer von Hechtfilm) sowie dem Hilton-Hotel Dresden.
Ebenso gilt unser Dank Christina Wittich für Tonaufnahmen und MoPo24 für die Bereitstellung ihres Studios.

© sz-online/Sächsische Zeitung
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Zusatzmaterial

Frederick Taylor (68) gilt in seiner Heimat Großbritannien als bester Kenner der Geschichte des 13. Februar 1945. Wir sprachen mit dem Historiker über die Bomben-Strategien der Alliierten und Krieg als Irrweg.

Herr Taylor, laut Ihrer Forschungen war Dresden ein legitimes militärisches Ziel. Nicht nur unter vielen Dresdnern ist die Empörung groß. Worauf gründen Sie Ihre Behauptung?

Zum einen möchte ich sagen, dass ich durchaus nicht der erste bin, der dieses feststellt. Tatsächlich befand sich in Dresden eine der größten deutschen Garnisonen, war die Stadt ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt war. Außerdem haben hier wie in allen Städten des Reiches die meisten Betriebe im Verlauf des Krieges direkt oder indirekt für die Rüstung produziert. Das mussten sie ja auch, schließlich hatte Goebbels 1943 den Totalen Krieg ausgerufen. Sogar Schokoladenfabriken oder Schreibmaschinenhersteller hatten ihre Produktion entsprechend umgestellt.

Aber als Industriestandort konnte es die Stadt an Bedeutung doch nicht mit etwa Duisburg oder Essen aufnehmen?

Dort gab es vor allem Schwerindustrie, in Dresden war mehr die leichtere Industrie angesiedelt, die feinmechanische, elektronische und optische Güter für den Krieg herstellte. Darunter Zielgeräte und Granatzünder. Allein in den Zeiss-Werken arbeiteten 14 000 Menschen direkt für die Rüstung. Und vergessen Sie nicht das große Sachsen-Werk. Es ist auch so, dass ab Herbst 1944 die meisten Industriebetriebe aus stark luftgefährdeten Gebieten in das vermeintlich sichere Dresden verlegt wurden. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass Dresden im Krieg eben nicht nur die Kunst- und Kulturstadt war, als die sie immer noch von so vielen betrachtet wird.

Trotzdem haben die britischen Verbände am 13. und 14. Februar das Stadtzentrum zerstört, wo es kaum militärisch relevante Objekte gab. Im Zielgebiet der Bomber lag nicht einer der 18 Dresdner Bahnhöfe, ebenso wenig die Garnison.

Hierin werde ich mit meinem Buch leider oft missverstanden, auch von vielen Dresdner Lesern. Ich sage lediglich, dass die Stadt ein legitimes militärisches Ziel war, aber nicht, dass die britischen Angriffe auch militärischen Zielen gegolten haben. Sie sollten die Zivilbevölkerung treffen. Das macht sie ja gerade so furchtbar und schockierend. Und ich wünsche mir, sie hätten niemals stattgefunden.

Die alliierten Flächenbombardements haben sich durchaus kriegsverkürzend ausgewirkt. Abgesehen von den Zerstörungen, die sie verursachten, haben sie zehntausende Menschen für Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten gebunden, die in der Produktion und an der Front fehlten. Gab es noch andere Gründe?

Durchaus, und zwar, wenn man so will, ökonomische. Sie müssen wissen, dass die Flächenbombardements ja eine Form des Zermürbungskriegs waren ...

1944 war den Alliierten klar, dass die Deutschen sich damit nicht zermürben ließen. Die Amerikaner haben die Briten sogar gedrängt, diese Art der Kriegsführung einzustellen und sich stattdessen auf militärische und industrielle Ziele zu konzentrieren.

Das stimmt. Aber schauen Sie: 1944 verfügten die Briten über eine sehr große und teure Bomberflotte und für Flächenbombardements ausgebildete Besatzungen. Den Angriff auf im Vergleich zu einem Stadtzentrum kleinere militärische Ziele beherrschten sie weniger gut.

War es schwieriger und gefährlicher, solche Punktziele anzugreifen?

Es war wesentlich problematischer. Außerdem lagen solche Ziele ja oft in Wohngebieten, manche waren extra dorthin verlegt worden. Und der Oberbefehlshaber der britischen Bomber, Arthur Harris, wollte unbedingt an der einmal eingeschlagenen Strategie festhalten. Also ließ man die schreckliche und letztlich wahllose Vernichtungsmaschinerie weiterlaufen. Das Erschütternde ist, dass auf allen Konferenzen der Alliierten niemand auch nur erwähnte, wie furchtbar diese Strategie eigentlich ist. Auch an der Spitze des britischen Bomberkommandos standen eben nur kühle Technokraten. Außerdem: Warum sollte man nun noch einmal Städte wie Essen oder Dortmund angreifen, die waren doch längst zerstört. Also suchte man sich nun unzerstörte Städte aus - wie Dresden. Und ich denke auch, dass sich die Briten gerade von der Zerstörung dieser berühmten und bislang verschonten Stadt eine hohe moralische Wirkung auf die Deutschen erhofften. Ich habe lange nach einem wirklich stichhaltigen strategischen Grund für die Zerstörung des Stadtzentrums gesucht. Ich habe keinen gefunden.

Waren die britischen Angriffe in Ihren Augen ein Kriegsverbrechen?

Schwer zu sagen, ich weiß es nicht genau. Ich würde aber sagen, sie lagen mindestens an der Grenze zum Kriegsverbrechen, wie alle Flächenbombardements. Doch man muss beim Blick auf diese Vergangenheit sehr genau zwischen den verschiedenen Vorkommnissen unterscheiden. Es ist zwar heute populär, die deutschen Angriffe auf Guernica, Warschau und Coventry als absichtliche Terror-Bombardements zu bezeichnen. Das waren sie aber nicht, denn sie galten militärischen Zielen. Die beiden britischen Attacken auf Dresden dagegen galten vornehmlich der Zivilbevölkerung. Nur - streng genommen stellten auch sie nach den damals gültigen und noch sehr vagen Bestimmungen des Völkerrechts keine Verbrechen dar. Aus heutiger Sicht und nach heute geltendem Völkerrecht jedoch müsste man sie als Verbrechen bezeichnen.

Entsprachen die Angriffe dem damals üblichen Denken und der Logik der Militärs?

Unbedingt. Ich fürchte auch, dass sich daran nicht allzu viel geändert hat. Wenn Militärs einmal die Mittel haben, möglichst viele Gegner umzubringen, dann setzen sie diese Mittel auch ein. Ob es sich bei den Opfern um Soldaten oder Zivilisten handelt, macht für sie, so denke ich, keinen wesentlichen Unterschied mehr.

Diese These beziehen Sie also auch auf die Kriege der Gegenwart?

Es ist doch so: Das Beispiel des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachgeschichte hat uns in meinen Augen gezeigt, dass die Briten und Amerikaner eine gewisse Sucht nach dem Bombardieren entwickelt haben. Es hält die Verluste in den eigenen Reihen niedrig und hat bei relativ geringem Aufwand und geringen Kosten eine vergleichsweise große Wirkung. Das haben uns die Bombardements in Afghanistan und Irak gezeigt. Aber es ist doch nachweislich der falsche Weg, Konflikte zu lösen, und ganz gewiss nicht der richtige Weg in die Zukunft. Ich persönlich halte das Bombardieren aus der Luft für das verwerflichste Mittel überhaupt, um einen Krieg zu führen. Die Dresdner haben ganz andere Lehren aus ihrer Geschichte gezogen. Ich habe sie hier auch immer wieder von vielen Menschen vernommen: Man muss alles dafür tun, dass sich so etwas niemals und nirgendwo wiederholen kann.

Gespräch: Oliver Reinhard
Zum Anfang
24. August 1944
Im Rahmen der alliierten Öl-Offensive fliegen drei US-Bombergruppen Angriffe auf Treibstoffproduktions-Zentren in Mitteldeutschland. Ein Verband von 62 B 17-Bombern ist auf das Mineralölwerk der Rhenania-Ossag in Freital angesetzt. Um 12.59 Uhr wirft er insgesamt 620 Bomben ab. Einige davon treffen das Ziel, die meisten aber den Ortsteil Birkigt und das Industriegelände Gittersee. 241 Menschen sterben. 

7. Oktober 1944
Weil das Wetter über dem geplanten Ziel, dem sudetischen Brüx, zu schlecht ist, fliegen 29 US-Bomber B 17 zum zweiten Mal einen Angriff auf das "Ersatzziel" Dresden. Ab 12.34 Uhr werfen sie 50 Tonnen Sprengbomben ab und treffen damit den Friedrichstädter Verschiebebahnhof sowie Teile der Innenstadt zwischen Postplatz und Bahnhof Wettiner Straße. 267 Menschen sterben.

16. Januar 1945
127 amerikanische Bomber B 24 „Liberator“ erscheinen um 12.12 Uhr über Dresden. Ihr Ziel ist erneut der Bahnhof Friedrichstadt, doch die Bomben fallen weit verstreut und treffen u.a. die Stadtteile Cotta, Leutewitz, Löbtau sowie die westliche Innenstadt. 334 Menschen sterben.

13. Februar 1945
Am Nachmittag steigen britische Bomber in Südengland auf und nehmen Kurs auf Mitteldeutschland. Der erste von zwei Verbänden nähert sich spätabends mit 243 Lancaster-Bombern Dresden. Das Ziel der Maschinen ist diesmal ausschließlich die Innenstadt. Zwischen 22.03 Uhr und 22.28 Uhr werfen sie knapp 900 Tonnen Spreng- und Brandbomben ab. Weite Teile des historischen und eng bebauten Zentrums werden zerstört, in der Stadtmitte Dresdens tobt ein verheerender Feuersturm.

14. Februar 1945
Um 1.30 Uhr  erscheint die zweite Angriffswelle mit 529 Lancastern über der Stadt. Sie erhalten den Befehl, das Zielgebiet auszuweiten. Über 1500 Tonnen Bomben schlagen in das Stadtgebiet von Löbtau bis Loschwitz, ebenso in den Großen Garten und die Elbwiesen, wohin sich viele Überlebende des ersten Angriffs gerettet haben. 

14. Februar 1945, mittags
Um 12.17 Uhr greift ein Verband aus 311 amerikanischen B 17 an. Weil das Wetter schlecht ist, müssen die Bomber ihre Ladung von knapp 800 Tonnen Spreng- und Brandbomben nach Zielradar abwerfen, was zu Ungenauigkeiten und Fehlwürfen führt. Trotzdem treffen die meisten den Friedrichstädter Bahnhof, aber auch umliegende Wohngebiete und das Krankenhaus Friedrichstadt.

15. Februar 1945
Am Vormittag bricht die Frauenkirche in Folge schwerer Treffer zusammen. Anderthalb Stunden später, um 11.51 Uhr, fliegen 210 amerikanische B 17 einen erneuten Angriff auf  Dresden. Wieder ist die Sicht schlecht, sodass ihre Ladung von 460 Tonnen verstreut auf das Stadtgebiet und die Umgebung fällt, auch auf Meißen und Pirna. Fast 80 Prozent des Wohnungsbestandes sind vernichtet. Die Behörden lassen einige Stadtteile abriegeln und zu „Toten Gebieten“ erklären. 

2. März 1945
455 US-Bomber sollen die Hydrierwerke Ruhland und Schwarzheide angreifen. Wegen schlechtem Wetter nehmen sie Kurs auf ihr Ausweichziel Dresden, das sie um 10.27 Uhr erreichen. Fast 1100 Tonnen Bomben graben die Trümmerwüste noch einmal um.

17. April 1945
Da Dresden nun eines der wichtigsten verbliebenen Bahnverkehrszentren im noch unbesetzten Reichsgebiet ist, richtet sich der größte Angriff auf die Stadt durch 580 US-Bombern vor allem gegen den Bahnhof Friedrichstadt. Die Angreifer werfen insgesamt etwa 1 700 Tonnen Bomben ab. Der Bahnhof wird völlig zerstört und kann bis Kriegsende nicht mehr repariert werden. 450 Menschen sterben.


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