Das Projekt
Aufbruch ins Eis
Von Stephan Schön, Fabian Schröder, Christian Bachmann
Unser Wetter kommt aus der Arktis
Unser Wetter kommt aus der Arktis
Ein Abenteuer beginnt
„Die Arktis wandelt sich schneller, als es alle Klimamodelle vorhergesehen haben“, sagt Manfred Wendisch, Direktor des Instituts für Meteorologie an der Leipziger Universität, im Dezember 2015. Danach nimmt ein bisher einmaliges Forschungsprojekt seinen Lauf.
Ein neuer Sonderforschungsbereich soll die Klimaveränderungen in der Arktis untersuchen. Um dies zu tun, planen die Forscher eine Fahrt zum Nordpol. Im Sommer 2017 ist es soweit: der Eisbrecher Polarstern sticht in See. Stephan Schön, Wissenschaftsreporter der Sächsischen Zeitung, begleitet die Reise ins ewige Eis. Die Forscher sammeln Daten, der Reporter Bilder und Geschichten – zusammen entsteht daraus diese Multimedia-Reportage.
Abtauchen ins eisige Wasser, aufsteigen auf 2.000 Meter Höhe, Eisbären, seltsame Tomaten, viele Experimente und ein ganz besonderes Schiff. Auf den folgenden Seiten können Sie eine vierwöchige Expedition miterleben, die der Auftakt zu einer Forschungsarbeit von globaler Bedeutung sein könnte.
Um das weltweite Klimasystem besser zu verstehen, müssen Wissenschaftler an den Ort der größten Veränderung fahren, eben in die Arktis. Sie erwärmt sich zwei- bis dreimal schneller als der Rest der Welt. Arktische Verstärkung heißt dieses bisher kaum erforschte Phänomen.
Die Wissenschaftler wollen die molekularen Zusammenhänge finden, welche die Maschinerie aus Wasser, Wind und Wolken antreibt. Es geht um die Zutaten in der Wetterküche Europas und darüber hinaus. Nie zuvor ist mit solch einem Aufwand im Nordpolargebiet auf Teilchenjagd gegangen worden – geleitet vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos) und der Universität Leipzig. An die fünf Jahre Vorbereitung stecken dahinter. Seit zwei Jahren ist auch die Sächsische Zeitung als Partner beim Tropos dabei.
Wissenschaft kann so spannend sein, ein Abenteuer.
Das Reise-Gebäck Für Ihre Auszeit zur Eiszeit*
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Endlich wieder da!
Russisch Brot Zimt-Vanille
Locker-leichte Buchstabenplätzchen zum Dahinschmelzen mit Zimt und Bourbon-Vanille
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Schokoladig-zarte Knusperstückchen zum Wegknabbern. Mit feiner Zimtnote und Weißer Schokolade.
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Exotisch-würzige Plätzchen als besonderes Nascherlebnis. Mit aromatischem Sternanis verfeinert.
Das Schiff
„Eine Hand gehört immer dem Schiff“
„Üblicherweise bleiben diese Kammern hier offen“, gibt der Erste Offizier eine Regel nach der anderen vor. Der Wohnraum ist Büro und Treffpunkt. „Wer Privatsphäre haben möchte, kann den Vorhang zuziehen.“ Nachts, da kann auch mal die Tür zu sein. Natürlich nicht verschlossen! Tür zu, das heißt, jetzt darf nur der Kapitän noch stören. Es gibt noch mehr dieser Regeln.
„Hey“, ruft Steffen Müller mir, dem Neuling und Reporter, hinterher. Als ich mit Rucksack auf dem Rücken, Kamera umgehängt, den großen Kaffeepott in der einen, den Laptop in der anderen Hand, die steile Treppe vor mir hochgehen will. „Hey, eine Hand gehört immer dem Schiff!“ Und da er weiß, dass Landratten offenbar nicht immer derlei Ratschläge befolgen, setzt er lieber gleich noch nach: „Unbedingt merken!“
Keine 24 Stunden später bedarf es dieser Ermahnung nicht mehr: bei Windstärke 9 und fünf, sechs Meter hohen Wellen, die über Bug und Container hinweg bis über die Brücke walzen. Das rauscht wie ein Wasserfall, es fasziniert - auch kurz vor drei Uhr morgens, als Teile des nachfolgenden Clips entstanden ...
Mit Volldampf ins Eis
Mit Volldampf ins Eis
„Dann geht die Zange halt zu“
„Das sieht nach Presseis aus“, sagt Lutz Peine, Offizier an Bord. Es kommt wie ein Fluch daher, da nützen dann auch fast 20.000 PS nichts mehr. „Dann geht die Zange halt zu“, erklärt er. Eingeklemmt zwischen Schollen kann auch dieses starke Schiff nicht weiter. Die Sonne scheint dazu scheinheilig durch sanfte Nebelbänke auf dem Eis. Taghell, nachts zwei Uhr. Die Motoren brummen ungeduldig. Doch die Polarstern steht.
„Geduld bringt da am meisten“, sagt Peine. Dann pumpt er Wasser im Schiff von links nach rechts, und wieder nach links. So hält er die Polarstern wenigstens ein wenig vom Eis frei. „Das kann auch mal zwei Tage dauern. Aber meist reicht der nächste Gezeitenwechsel, und die Zange geht wieder auf.“
Glück gehabt. Nur eine Stunde schaukelt die Polarstern, dann lockert sich das Eis. Das Schiff fährt volle Kraft voraus los und rammt, bis sich das Eis spaltet.
Auf der Suche nach einer Scholle, die für die Forscher groß genug und geeignet ist, holt sich die Polarstern Unterstützung aus der Luft - beziehungsweise hat die mit an Bord. Ein Hubschrauber hebt für Erkundungsflüge ab, wenn das Eisradar anschlägt.
24 Stunden für 100 Meter
24 Stunden für 100 Meter
Vier Aggregate geben alles
Mehrere Meter große Eisbruchstücke verschwinden unter dem Schiff und tauchen am Heck wieder auf. Oder achtern, wie es hier heißt. Krachend streifen sie kielwärts den Rumpf. Das gibt ordentlich Arbeit im Dock. Das wird ein Fall für den Beulenplan. Denn was hier als unkoordinierte Percussion durch den Rumpf dröhnt, macht ordentlich Schrammen. Später im Herbst, im Trockendock wird sich all das dann zeigen.
Das Rammen geht weiter, da können 100 Meter auch mal 24 Stunden dauern. Dann, wenn sich zwei Eisschollen ineinander verkeilt haben. Wenn nach oben ein vielleicht zwei Meter hoher Rücken herausragt, dann können das nach unten hin noch mal zehn, zwölf Meter sein. Auch deshalb meiden die Offiziere auf der Brücke diese Presseisgrate und kurven lieber ziemlich aufwendig um die Schollen herum. Nur, immer geht das halt nicht.
Und so wird diese Nacht ziemlich laut. Der nächste Tag auch, die kommende Nacht ebenfalls, tags darauf nicht anders. Bestenfalls vier Knoten geht es nach Norden, gelotst vom Eisradar und den Satellitenbildern auf der Suche nach einer großen Scholle für die Wissenschaft. Weit genug im Norden muss die sein, damit sie nicht während der Forschung schon unter den Füßen wegschmilzt.
Bis dahin werden auch alle vier Dieselmaschinen gebraucht, die unter der ständigen Kontrolle von Henning Westphal stehen. Er ist Herr über 19.000 PS. Lässt er die Aggregate auf Hochleistung laufen, dann schluckt das Schiff am Tag an die 60 Tonnen Diesel. Die Energiebilanz der Dieselgeneratoren pendelt gegen ein Megawatt. Forschung braucht Strom, jede Menge sogar. Zwei Motoren laufen ständig, auch wenn das Schiff steht. Aus Sicherheitsgründen, denn schnell mal anschalten und losfahren ist beim Schiffsdiesel nicht möglich. Mindestens eine halbe Stunde Vorbereitung ist für jede Maschine nötig, es kann auch mal eine Stunde dauern, bis so ein Motor läuft.
Von der Brücke auf die Pritsche
Von der Brücke auf die Pritsche
Der Notfall trifft eher die, die sonst den festen Boden unter den Füßen gewohnt sind. Mal mehr, mal weniger und mitunter hilft nur noch der Bordarzt. Pillen, Zäpfchen notfalls Spritzen helfen gegen Seekrankheit.
Auch für wirklich ernste Sachen ist die Krankenstation gewappnet. Damit im Ernstfall alles glatt geht, werden immer am ersten Sonntag eines Monats die Notleitungen zur Neumayer-Station am Südpol und zur Polarstern vorm Nordpol getestet. Der Funkoffizier stellt dafür die Leitung zum Klinikum in Bremerhaven her. Über eine mehr als dürftige Satellitenleitung könnten Arzt und Schwester so Vitalwerte durchgeben und sich medizinischen Rat vom Festland holen.
Wiegen für den guten Zweck
„Ordentlich essen,“ sagt jedenfalls der Mediziner auf dem Schiff, Bordarzt Claus Friedrich Rudde-Teufel. „Wenn der Magen voll ist, geht’s besser“, meint er. Stur futtern gegen die Übelkeit, schon vor den ersten Anzeichen. Es hilft dem Magen, hat aber wohl Nebenwirkungen und rächt sich wahrscheinlich beim sonntäglichen Wiegeclub, den es hier an Bord wirklich gibt.
„Um 10.30 Uhr trifft sich der Wiegeclub in der Werkstatt“, halt es durchs Schiff. Ein geradezu heiliges Ritual für Mannschaft und Forscher beginnt. Vor der Werkstatt eine lange Schlange, es wird gelästert. In der Werkstatt wird vermessen. Rauf auf die Sackwaage. „Füße vom Boden“, kommt die Ermahnung. Tricksen ist halt nicht.
Andreas Brehme lässt das Gewicht über die Messstange rattern, immer weiter:Endlich bleibt es stehen „Stephan Schön, 73,5 Kilogramm.“ Mit persönlichen Daten ist zumindest da nicht viel, draußen im Flur hängen später die Listen sowieso aus. Jetzt folgt die Wette: „Zunehmen oder abnehmen oder?“ Ich tippe auf Systemerhalt. Aber nächsten Sonntag wird abgerechnet – und in die Wiegekasse gezahlt. Das dort eingesammelte Geld geht seit Jahren an die Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Rostock.
Nach Hause telefonieren
Nach Hause telefonieren
Weiter weg von der Welt als auf der ISS
Dann aber ist es fast 21 Uhr. Und wem das nicht genug Meetings waren, 16 Uhr gibt es noch den ausführlichen Wetterbericht in der Bordwetterstation. Oben auf dem Beobachtungsdeck, gleich neben meinem Redaktions-Arbeitsplatz.
Fünf Stockwerke über der Kammer befindet sich das „Büro“. Der Hocker ist festgebunden, damit er bei Seegang nicht durch die Telefonzelle schießt. Weiße Steckdosen gibt es mit dreckigem, also instabilem, schwankenden Strom - rote mit dem sauberen, stabilen für Laptops und Messgeräte. Es herrscht Laboratmosphäre. Und ab und zu gibt es Telefonkontakt zur Redaktion im Haus der Presse in Dresden.
Iridium, das letzte so nah am Nordpol verbliebene Satellitennetz, rettet die Kommunikation aber auch nicht gerade und blubbert schaurig echoartig vor sich hin. Mails gehen mit 50 KB raus, also nur ein sehr kleines Foto passt dort hinein. Für aktuelle Bilder in der Sächsischen Zeitung hat Funker Joho eine gesonderte Leitung aufgebaut. Trotzdem kann das schon mal einen Tag dauern, bis es raus ist. Selbst normale Mails brauchen von hier aus ihre Zeit. Ehe eine Info aus der Redaktion zurückkommt, vergeht bis zu einer Stunde. Wer daheim kann das heute noch nachvollziehen in Zeiten der Echtzeitkommunikation?
Als Datenpaket werden die Mails vom Schiff alle 20 Minuten über Satellit verschickt und ebenso empfangen. Datenmäßig ist die Polarstern damit weiter weg von der Erde, als die ISS im Weltraum. Thomas Reiter, mehrfacher deutscher Astronaut, kommentiert mein Gejammer in einem SZ-Artikel über miese Datenraten wohl auch mit einem kleinen Unterton von Genugtuung, oder vielleicht ist es auch Stolz: „Aufgrund der Verbindungsmöglichkeiten mit geostationären Relaissatelliten haben wir von der ISS eine Datenrate von bis zu 150 Megabit pro Sekunde – das ist doch um einiges höher als von den Polregionen der Erde.“
SZ-Artikel mit Reiter-Kommentar
Wie in einer WG für 100 Leute
Wie in einer WG für 100 Leute
Das Zusammenleben braucht guten Willen
Wissenschaftler von einem Dutzend Forschungseinrichtungen sind mit an Bord. Jeder verfügbare Quadratmeter an Deck ist vollgestellt mit Technik. Jeder Platz in den Kammern ist belegt. Und das Verpflegungslager voll. So gut gefüllt, dass die Polarstern auch überwintern könnte im Notfall. Küchenchef Jörg Meißner hat eine 30 Seiten lange Verpflegungsliste, die locker für zwei Expeditionen reichen würde.
Strom, Wärme und Frischwasser erzeugt das Schiff selbst. Zwei Meerwasserentsalzungsanlagen mit insgesamt täglich 60 Kubikmetern Wasser köcheln da vor sich hin. Wenn das Abwasser dann aus der biologischen Kläranlage zurück ins Meer kommt, hat es Trinkwasserqualität.
Für all das ist das Schiff vollgestopft mit Tanks, Leitungen und Rohren. Felix Lauber kennt sie auswendig. „Und hinter jeder Klappe verbirgt sich etwas unglaublich Wichtiges.“ Wer dieses Schiff vor weit über 30 Jahren entworfen habe, hätte dies mit unglaublich viel Verstand getan. Und Ästhetik. Tischlampen im Bauhausstil, dazu passende Sessel, selbst die Türklinken haben Stil.
Blauer und Roter Salon, Vortragsraum, die Messen – alles im Zeitgeist der 1970er-Jahre, schwärmt eine der Wissenschaftlerinnen aus Bremerhaven. Pragmatischer wird da Felix Lauber: „Salons, Messen und Vortragsraum sind im Innern des Schiffs übereinandergestapelt. Sie haben ein eigenes Belüftungssystem und eine separate Heizung. Wenn alles ausfällt oder wir ungeplant überwintern müssten, dann wäre das unsere Überlebenszelle.“
Notaggregate gibt es jede Menge, zwei zusätzliche Motoren, einen zweiten Dieselgenerator und ein komplettes Notstromsystem. „Das muss jeder von der Crew einschalten und bedienen können.“ Es muss halt schnell gehen, um dem Schiff Licht und Wärme zurückzugeben. Der Notschaltraum befindet sich am Heck, der große Hauptschaltraum indes liegt vorn.
Eine Woche lang steuert die Polarstern sicher bis ins ewige Eis. Dann bleibt sie an Ort und Stelle an einer großen Scholle stehen. Wenn es mal brenzlig wird, ist der Platz des Kapitäns oben auf der Brücke. Wie der sich auf Eisfahrten vorbereitet und was er dazu braucht, erklärt er im folgenden Interview, das er kurz vor der Rückfahrt am Ende der Expedition gegeben hat.
Der Expeditionsleiter
Zum AnfangKammergespräch auf der Polarstern
Kammergespräch auf der Polarstern
Interview mit dem Expeditionsleiter
Der Atmosphärenphysiker, Professor an der Universität Leipzig und Institutsdirektor hat es geschafft, zwei Dutzend sächsische Landratten aufs Nordpolarmeer zu bringen. Seine Aufgaben und seine Erkenntnisse erklärt er bei einem Kammer-Schnack:
Herr Macke, Sie sind der Chef auf dem Schiff. Was ist da anders als im Institut an Land?
Ich bin nicht der Chef. Chef ist immer noch der Kapitän. Aber ich bin in der Tat als Fahrtleiter für die Wissenschaftler verantwortlich. Für all das, was sie tun oder auch nicht tun. Anders als im Leipziger Institut hört diese Verantwortung aber auf dem Schiff eben nicht nach der Laborarbeit auf. Das sind hier immer 24 Stunden, sieben Tage die Woche.
Sie wirkten nicht gerade entspannt auf der Brücke oder an Deck. Hatten Sie Angst um Ihre Leute draußen auf dem Eis? Angst, dass etwas passiert oder ein Eisbär vorbeikommt?
Angst nicht, aber es sind in der Tat sehr angespannte Zeiten, wenn die Gruppen draußen auf der Eisscholle sind.
Auf der Expedition dabei sind auch Meereisphysiker und Biologen, viele vom Polarinstitut AWI. Diese Kollegen waren teils schon zehnmal in der Arktis. Und nun kommen die sächsischen Arktisneulinge und machen gleich noch die Fahrtleitung …
Nein, solche Kompetenzprobleme gibt es nicht. Natürlich habe ich die Kenntnisse der Arktis-Erfahrenen genutzt. Der Fahrtleiter entscheidet zwar, aber man kann sich ja vorher zu allen Fragen einigen. Meetings gab es dafür genügend. Nur an zwei Tagen gab es dichten Nebel, das ist schon fast sensationell wenig. Es hätten auch zwei Wochen Nebel sein können und wir wären dann so gut wie nicht auf die Scholle gekommen.
Warum müssen Sie mit Ihren Forscherkollegen aus Leipzig überhaupt in nordpolare Gebiete fahren? Gibt’s nicht zwischen Leipzig und dem Erzgebirge genug spannende Atmosphäre?
Wir forschen auch dort. Aber die Arktis brauchen wir auch. Wenn wir verstehen wollen, wie sich künftig im Klimawandel die Atmosphäre verändert, müssen wir auf die polaren Gebiete schauen. Dort ändern sich die Dinge rascher als an jedem anderen Ort der Welt. Eis schmilzt, das ist zu sehen. Was aber hat das für Folgen für die Wolken? Werden es mehr oder weniger? Wird es dadurch nochmals wärmer? Oder kühlen diese Wolken die Region? Wir sind genau dort unterwegs, wo unser Wetter entsteht. Wir sind mittendrin in unserer Wetterküche. Verändert sich die nordpolare Region nachhaltig, so ändern sich auch das Wetter und das Klima bei uns. Und wir möchten letztlich wissen, was da so auf uns zukommt.
Und was passiert nun genau in den vielen Stunden auf dem Eis?
Die Antwort darauf im folgenden Video ...
Die Experimente
„Eis in Sicht“
„Eis in Sicht“
Das Forschen beginnt
„Eis in Sicht“ ist der Code, der alle an die Reling holt. Scholle backbord voraus. Genau dies könnte der Arbeitsplatz für die kommenden zwei Wochen sein. Dick genug ist das Eis. An die drei Meter mächtig sind die Bruchstücke, die der Eisbrecher an der Seite empordrückt. Und groß genug ist das Stück Neuland für die deutsche Polarforschung auch. Marcel Nicolaus, Meereisphysiker vom Polarinstitut AWI, ist sich sicher. „Die schauen wir uns an. Ich denke, hier bleiben wir.“
Die Gangway wird ausgelegt. Und Bootsmann Steffen Müller holt schon mal das Ausgangsbuch heraus. Abmelden ist Pflicht. Jetzt geht es los: Vier Mann, mit Motorschlitten ausgerüstet, mit Markierungsstangen im Gepäck und zum eigenen Schutz bewaffnet, gehen voraus. Die Ersterkundung des Eislands beginnt. 82 Grad Nord, 10 Grad Ost im Juni.
Die Ersten auf der Scholle hinterlassen eine Spur im Schnee. Eine Schneise roter und schwarzer Flaggen entsteht. Die Bereiche der Forscher werden abgesteckt. Tagelang hatten Biologen, Meereisphysiker und Wolkenforscher um ihre Stationen gerungen. Nein, dort nicht, dort stört der Ruß vom Schiffsmotor, dort wiederum können die Drohnen nicht starten, weil der Ballon ihnen im Wind hängt. „Es ist genug Scholle da für jeden“, sagt Marcel Nicolaus. Am drei Meter großen Monitor platziert er gemeinsam mit dem Fahrtleiter aus Leipzig die Tomate – eine Schutzhütte. Dann den Ballon gleich links dahinter. Beides entlang der Autobahn, das ist der zentrale Pfad durch Schnee und Eis für Güter und Polarforscher – Motorschlitten-Höchstgeschwindigkeit zehn Stundenkilometer.
Zwischen Himmel und Scholle
Diese Autobahn entlang des orange leuchtenden Sicherheitsbandes ist die einzige Piste, die nach Abmeldung auf der Schiffsbrücke ohne eigenes Gewehr begangen werden darf. Und auch das nur, weil ringsherum überall Bärenwachen die einzelnen Gruppen bereits schützen. Aber schon zum Flugplatz 100 Meter weiter muss eine eigene Wache mit. Dort am Flugfeld ist der Startplatz für Drohnen und unbemannte Messflugzeuge.
Auch Thomas Conrath, der Cheftechniker vom Leipziger Tropos will hoch hinaus. Er hat palettenweise zentnerschwere Heliumflaschen im Gepäck. Helium für den 90 Kubikmeter großen Ballon, der letztlich sensible Sensoren bis 2.000 Meter hochtragen soll.
Von der Alge zum Eisbär
Das Eis wird dünner, der Schnee darauf schmilzt. Tümpel, Schmelztümpel bilden sich dann. Immer mehr, immer größer, immer tiefer. Die Algen unter dem Eis mögen das viele Licht gar nicht, denen geht es zusehends schlechter. „Das bisschen mehr Licht ist daran schuld.“ Ändert sich jedoch dadurch der Algenbestand, dann bekommen die Ruderfußkrebse und Kleinstlebewesen insgesamt weniger Nahrung. Dadurch wiederum gibt es weniger Futter für Polardorsche, daher müssen sich die Robben ihr Futter mühsamer beschaffen. Am Ende sind es wieder mal die Eisbären, die es zu spüren bekommen, wenn es weniger Robben gibt.
Melosira arctica nennt sich diese alles entscheidende Alge und ist der Anfang der Nahrungskette. Millimeterklein, unscheinbar und zusammengeklebt in langen schleimigen Fäden. So hängt sie unter dem Eis herab. Sie landet schließlich in den Probenbechern und auf Filterplättchen im Nasslabor. Sie wird fertiggemacht für die frostige Kältekammer. Es ist das Material für viele Analysen dann im Polarinstitut in Bremerhaven.
Hier auf der Expedition, so hat es auch Leiter Andreas Macke in unserem Kammergespräch schon erklärt, geht es ums Datensammeln. Für die Biologen sind es halt Algen und winzige Lebewesen unterm Eis, für die Leipziger Wissenschaftler sind es die Messwerte aus der Atmosphäre. Zwei Wochen lang so viele Daten wie nur möglich von der Scholle holen, das ist der Anspruch.
Täglich kommt das Beast
Täglich kommt das Beast
Das Eis von unten
Dieses Biest mit vier Augen und seinem langen Schwanz. Mit einem Zangenarm und der großen Beutefalle. Es ist eindeutig: Solange sich kein Eisbär sehen lässt, ist dieses Beast das gefährlichste Raubtier unter der Scholle. Es gehört Marcel Nicolaus und Christian Katlein. Die beiden sind Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut AWI. Jahrelang haben sie für die perfekte Zähmung ihres Beasts gebraucht. Jetzt macht es, was sie wollen. Tauchen, schwimmen, gucken, gluckern oder Beute jagen – Algen, Fische, Krebstiere. Wie auch immer dieses unbemannte Tauchobjekt zu seinem Namen kam, er passt schon ziemlich gut.
Arglos ruhig wartet das Beast auf seinen Einsatz, es verharrt still auf dem Eis. Aber dann, kaum im Eisloch verschwunden, im Wasser drin, fängt es an zu gurgeln und zu fauchen. Mit Düsen und Minipropellern schäumt es das Wasser auf. So lange, bis es endlich abwärts geht an seiner 300 Meter langen Leine, die hier Nabelschnur heißt. Die kommt letztlich bei den Rechnern von Marcel und Christian im fensterlosen Forschungs-Container an. Auf ihren Monitoren sehen sie, was die superscharfen Kamera-Augen unter dem Eis erblicken. Die Wissenschaftler wollen nicht in die Tiefe schauen, sondern immer schön nach oben blicken, ganz nah am Eis entlang. Was überirdisch oder besser übereisig als platte Ebene und kompakte Eisscholle erscheint, ist von unten betrachtet ein einziger Trümmerhaufen.
Zusammengepresste, zusammengefaltete, aufgetürmte Schollen, ineinander verkantet und gekippt. Dieser etwas andere Blick auf den täglichen Arbeitsplatz der 50 Wissenschaftler lässt einmal mehr Ehrfurcht aufkommen.
Im Sommer, wenn das Eis schmilzt und schmilzt, wenn mehr Licht durchkommt, dann fängt an diesem unwirtlichen Ort das Leben richtig an. Es gibt Eisalgen und prächtig gedeihende Mikroorganismen.
Das Wasser wird zunehmend trüb. Zehn Meter Sicht. Das ist nicht viel für die Orientierung im Halbdunkel des Polarmeeres. An die 200 Meter schwimmt manchmal das Beast vom Wasserloch weg. Hin zum Garten, wo die Biologen von oben mit ihren Experimenten den Algen beim Wachsen zuschauen. Durchs Eis gebohrte und markierte Stangen helfen Marcel und Christian bei der Suche nach dem rechten Unterwasserweg. „Ja klar haben wir uns schon mal verfahren“, gibt Christian zu. „Das passiert uns regelmäßig.“ Er grinst.
Nach zehn Tagen unterm Eis kennen die beiden Wissenschaftler die Ecken und Kanten. Wenn nur nicht diese Strömung wäre. Die macht ihr eigenes Ding und spielt mit dem Beast. Ein Kräftemessen zwischen digitaler Steuerung und analoger Natur.
Dutzende Sensoren, gut geschützt, vermessen den arktischen Ozean. Salzgehalt, Druck, Temperatur. Sauerstoff, pH-Wert, Nitrate und Chlorophyll. Es gibt ein Sonar. „Damit wir wissen, was um uns herum passiert.“ Ein Abstandsmesser zeigt die Entfernung zum Eis und das Fächerecholot ortet mit Ultraschall. Wie ein 3-D-Scanner vermisst dieses die Eisunterseite. Im Rechner entsteht ein dreidimensionales digitales Eismodell.
Vor allem aber interessiert die beiden Meereisphysiker das Licht. Wann kommt wo wie viel Licht durch das Eis hindurch. Es geht um Energiebilanzen, und die wiederum sind Grundlage für künftige Wettermodelle und Klimaprognosen. Ein ganzes Jahr müsste man so die Arktis beobachten. Aber das kommt noch, 2019.
Jetzt haben sie erst einmal Daten von zwei Wochen. Und schon die setzen die Meereisphysiker in Erstaunen.
Wolken entstehen im Meer
Wolken entstehen im Meer
Drängende Fragen - und erste Antworten
Der eisige Job beginnt mit dem Fertigmachen zur Ausfahrt. Ist ein passendes Wasserloch gefunden, geht es los. Das Schlauchboot reitet über die Wellen, 300, 400, 500 Meter weit weg von der Polarstern. Dann erst ist Manuela zufrieden. Vom Schiff unberührte Wasserlandschaft steht ihrer Forschung nun zur Verfügung. Glasplatte raus und rein ins Wasser. Vorsichtig zieht sie diese wieder heraus, balancierend auf der Kante vom Schlauchboot und hoffend, dass der Überlebensanzug dann doch nicht zum Einsatz kommt.
Aber der Scheibenwischer. Das wenige Wasser, das nun an der Scheibe bleibt, wird tropfenweise, ganz vorsichtig, ganz gründlich abgestrichen und in Fläschchen gefüllt. Um jegliche Verunreinigung zu vermeiden, trägt sie OP-Handschuhe.
Was die Wissenschaftler aus dem Polarmeer so rein wie möglich mitbringen wollen, sind die Partikel in der obersten Wasserschicht. Dieser Oberflächenfilm ist nur 100 bis 200 Mikrometer dünn. Er enthält winzige organische Bestandteile. Fette, Aminosäuren, Proteine und Mikroorganismen. Aber beispielsweise auch Spurenmetalle und Staub. Das meiste davon gelange aus großen Tiefen bis an die Oberfläche, berichtet Manuela van Pinxteren. Diese Wanderung geschieht mithilfe von winzigen Gasbläschen. Es sind wichtige chemische Verbindungen, die da nach oben treiben und letztlich in die Atmosphäre wechseln. Es sind jene Stoffe, die in ganz erheblichem Maße Wolken bilden, von denen aber noch sehr wenig bekannt ist.
Wie viel davon im Oberflächenwasser enthalten sind und welche Partikel genau, das kann künftig die Frage beantworten helfen, wie sich die Arktis verändert im Klimawandel. Das ist eine Voraussetzung für bessere Klimamodelle. Es geht um ganz grundlegende Fragen, die sich mithilfe der winzigen Partikel im Ozean besser beantworten lassen: Bilden sich mehr oder weniger Wolken in der Arktis, wenn es wärmer wird? Kühlen diese Wolken oder heizen sie die Atmosphäre weiter an? Die Antworten liegen in den kleinen chemischen Bruchstücken. Und erste Ergebnisse lassen bereits aufhorchen. Die Kollegen von Manuela und Sebastian, die Atmosphärenphysiker vom Tropos, die mit ihren Messgeräten und Sonden in der arktischen Luft und in den Wolken messen, finden dort teils die gleichen Partikel.
Wenn aber der Ozean so entscheidende Mikro-Teilchen kilometerweit nach oben schickt, dann wird sich die Wolkenbildung bei einem künftig weithin eisfreien Polarmeer deutlich ändern. Nach dem Scheibenwischen auf der Glasplatte folgen aufwendige Laborarbeiten. Stundenlang an den Dutzenden Filtern im Nasslabor im Schiff zu hantieren – es ist schlichtweg der Graus für jeden Forscher hier.
Filtrieren, das klingt schon fast wie ein Schimpfwort oder Strafarbeit. Die reicht nicht selten bis nach Mitternacht. Letztlich ist aber genau dies die Voraussetzung für die exakte chemische Analyse. Die herausgefilterten Substanzen kommen tiefgefroren nach Leipzig ins Tropos-Institut. Dafür aber sind erst einmal die vielen Fläschchen im Schlauchboot zu füllen. Wieder und wieder taucht Manuela die Glasplatte ins eiskalte Wasser. Es wird frostig trotz Schutzkleidung.
„Das reicht“, sagt Sebastian. Dreißigmal eine Platte eintauchen, das reicht für eine einzige Probennahme an dieser Stelle. Hinter dem kleinen Eisberg, um die Ecke herum, da wäre doch noch ein guter Platz. Und wieder muss der Scheibenwischer ran.
Wolken, wir brauchen Wolken
Die Antwort ist schneller da als die Frage zu Ende: „Wir sind auf Wolkenmission!“ Hohe und niedrige, ganz lichte, ziemlich dichte und solche, die den Tag so richtig grau machen. Jene mit viel unterkühltem Wasser und die mit Eis.
Alles ist interessant. Und über all dies ist bislang im arktischen Terrain erst wenig bekannt. Wolken könnten eine Erklärung geben zu jenen unheimlichen Vorgängen, die eben in der Arktis geschehen. Nirgends sonst erwärmt sich eine Region so rasch. Jede Wolke braucht winzige, teils nur einige Nano- oder Mikrometer kleine Partikel, um Wasser und Eis daran ablagern zu können. Eben um eine Wolke zu bilden.
Diese Teilchen sind in der klaren Polarluft jedoch kaum vorhanden. Es herrscht Reinraumklima, nur kälter halt. Selbst bei minus zehn Grad ist kein Atemhauch zu sehen. Erst wenn beispielsweise ein Feuerzeug in der Nähe brennt, dann sind winzigste Rußpartikel für den Atemhauch in der Luft vorhanden. Physik pur, vorgeführt auf dem Beobachtungsdeck gleich neben dem Tropos-Container. Der ist vollgestopft mit Messtechnik.
Beheizte Einsaugrohre bringen dort die saubere Polarluft zu den Geräten im Innern. Euter nennen die Forscher jenes skurrile Verteilerstück, von dem aus dann ein halbes Dutzend Leitungen abgeht, um die angesaugte Luft gerecht auf alle Messgeräte zu verteilen. Gesammelt, getrocknet, gewogen, vermessen – vieles passiert mit den winzigen Partikeln auf dem Schiff im Container.
Noch mehr Physik und Chemie folgt dann im Institut in Leipzig. Und letztlich, so hofft Andreas Macke, geben diese Wolkenkeime vielleicht eine Erklärung dafür, was mit der Arktis passiert.
Nach der Reise ist vor der Reise
Expeditionsleiter Andreas Macke: „Wir bereiten in der Tat schon die nächste Expedition vor. Mosaic nennt sich die und wird eine internationale Expedition sein. Dann wird die Polarstern 2019 für ein Jahr im arktischen Eis eingefroren und driftet mit Wissenschaftlern und Messtechnik durchs Polargebiet. Wir werden dort dabei sein.“
Das Abenteuer geht weiter ...
Die EiSZeit
Noch mehr Bilder aus dem Eis
Stephan Schön wird dort seine Geschichten, noch mehr Bilder und Videos aus dem Eis präsentieren.
Die Tickets dafür gibt es in allen SZ-Treffpunkten oder online unter www.szlink.de/eiszeit-ticket